Aufnahmeprogramm durchsetzen - Klage gegen das BMI jetzt!

Abgeschlossen
208 Mitzeichnungen
  • Anderes
  • Gesamtthüringen
  • eingereicht von Philipp Millius
    aus 07743 Jena
  • veröffentlicht am 29.03.2021
  • 20.06.2023
    Statusänderung zu Abgeschlossen
  • 20.06.2023
    Abschlussbericht

    In der Angelegenheit fand am 8. Juli 2021 eine öffentliche Anhörung des Petenten statt. Der Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (AfMJV) wurde um Mitberatung ersucht und zur Anhörung hinzugezogen (§§ 15 Abs. 2 Satz 1, 16 Abs. 1 Satz 3 ThürPetG).

    Im Folgenden hat zunächst der AfMJV die Petition beraten (25. Sitzung am 16. Juli 2021, 27. Sitzung am 17. September 2021, 28. Sitzung am 15. Oktober 2021 und 32. Sitzung am 28. Januar 2022). Die in Vorlage 7/2815 vorgelegte Empfehlung der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Petitionsausschuss (eigene Klage Thüringens vor dem Bundesverwaltungsgericht, verbunden mit der Bitte an das Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, in den Rechtsstreit zu gehen) wurde im AfMJV mehrheitlich abgelehnt.

    Die Petition wurde daraufhin in der 27. Sitzung des Petitionsausschusses am 3. März 2022 erneut beraten. Der Ausschuss machte deutlich, dass der Petent und seine Vertrauenspersonen in der öffentlichen Anhörung am 8. Juli 2021 darauf hingewiesen hatten, dass es im föderalen System einen Passus gebe, dass Bundesländer aus humanitären Gründen bestimmte Aufnahmeprogramme durchführen könnten. Die Landesregierung wurde deshalb um eine Stellungnahme gebeten, wie die These der Einmischung in die                     EU-Außenpolitik juristisch und politisch bewertet wird. Der Petitionsausschuss bat die Landesregierung außerdem um Mitteilung, ob die Möglichkeit bestehe, als Bundesland gegen den Bund zu klagen.

    Nachdem die schriftliche Begründung eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 15. März 2022 (Az.: 1 A 1/21), mit dem die Klage des Landes Berlin gegen die Bundes-republik Deutschland wegen Versagung des Einvernehmens durch das Bundesministerium des Innern (BMI) hinsichtlich einer geplanten Aufnahmeanordnung für Flüchtlinge aus dem (ehemaligen) Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos abgewiesen worden war, in der 29. Sitzung des Petitionsausschusses am 24. Mai 2022 noch nicht vorlag, beschloss der Ausschuss, die Weiterbehandlung der Petition zu vertagen und diese wieder aufzurufen, wenn eine Stellungnahme der Landesregierung unter Berücksichtigung des v.g. Urteils vorliegt.

    Das BVerwG hat in den Folgemonaten die schriftliche Begründung seines Urteils vom 15. März 2022 veröffentlicht.

    Das BVerwG führt in seinem Urteil im Wesentlichen Folgendes aus:

    Eine Anordnung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann sich sowohl auf Personen beziehen, die sich noch nicht im Bundesgebiet aufhalten, als auch auf solche, die bereits in der Bundesrepublik Deutschland aufhältig sind. Dies schließt auch solche Ausländer ein, die ihr Herkunftsland bereits verlassen haben, ihren Aufenthalt jedoch noch nicht im Bundesgebiet, sondern in einem Transit- oder ersten Zufluchtsstaat genommen haben. Eine Aufnahme von Drittstaatsangehörigen nach § 23 Abs. 1 AufenthG ist weder national- noch unionsrechtlich von vornherein ausgeschlossen, wenn sich diese – wie im Fall der geplanten Berliner Aufnahme-anordnung – in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union als Asylsuchende aufhalten. Es bestehen nach Auffassung des BVerwG keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die der Union übertragenen Zuständigkeiten im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz (Art. 78 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) sowie der gemeinsamen Einwanderungspolitik (Art. 79 AEUV) und die auf diesen Grundlagen erlassenen Rechtsakte des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems jedwede humanitären Aufenthalte abschließend regeln sollen und damit zusätzliche Aufnahmen einzelner Mitgliedstaaten aus – anders gearteten oder zumindest weiter gefassten – humanitären Gründen sperren.

    Nicht abschließend entschieden hat das BVerwG die Frage, ob es ausreicht, dass humanitäre Gründe in Bezug auf den Mitgliedstaat vorliegen oder ob es in Bezug auf den Herkunftsstaat der vorherigen Feststellung eines Schutzbedarfs bedarf, die mehr als nur ein rein asylverfahrensrechtliches Bleiberecht vermittelt. Die Aufenthaltsgewährung in der Bundesrepublik Deutschland setzt jedenfalls das Vorliegen humanitärer Gründe auch in Bezug auf den Herkunftsstaat voraus.

    Die Aufnahmeanordnung beruht auf humanitären Gründen, wenn sie durch einen nicht auf rechtlicher Verpflichtung, sondern auf moralischen oder menschlichen Überlegungen beruhenden Einsatz zugunsten anderer in Not oder Bedrängnis befindlicher Menschen motiviert ist. Die oberste Landesbehörde verfügt in Bezug auf die Feststellung der Voraussetzungen für eine Landesaufnahmeanordnung über einen weiten Beurteilungsspielraum. Es handelt sich um eine politische Leitentscheidung, die sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen als auch der Rechtsfolge allenfalls einer begrenzten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Insoweit bestanden gegen die geplante Berliner Aufnahmeanordnung keine rechtlichen Bedenken.

    Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bedarf die Anordnung zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit des Einvernehmens mit dem BMI. Dieses zwingende Erfordernis des Einvernehmens zu Aufnahmeanordnungen der obersten Landesbehörden findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 und 5 GG. Es handelt sich um eine verfassungsmäßige, nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG einer Abweichung durch die Länder unzugängliche Regelung des Verwaltungsverfahrens. Von der Einordnung als Regelung des Verwaltungsverfahrens ist auch der Gesetzgeber selbst ausgegangen. Dies wird aus § 105a AufenthG deutlich, wonach von den in § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und weiteren Normen getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens nicht abgewichen werden kann.

    Das BVerwG führt weiter aus, dass die Weigerung des BMI, das gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erforderliche Einvernehmen zu erteilen, rechtmäßig war. Die hierfür in erster Linie angeführte Begründung, dass die Aufnahmeanordnung zu einer – grundlegend – unterschiedlichen Rechtsstellung von Personen aus demselben griechischen Flüchtlingslager führen würde, ist vom Zweck des Einvernehmens gedeckt.

    Das Einvernehmenserfordernis ist der Wahrung der Bundeseinheitlichkeit zu dienen bestimmt. Dieser Zweck ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht eng zu verstehen, sondern im Lichte des zur Wahrung des Bundesinteresses Erforderlichen auszulegen. Dem BMI ist bei der Konkretisierung des Begriffs der Bundeseinheitlichkeit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung des Einvernehmens ist eine Entscheidung, die mit politischen Wertungen verknüpft ist.

    Bundeseinheitlichkeit bezieht sich auf eine im Grundsatz einheitliche Behandlung der fraglichen Personengruppe im Bundesgebiet und zielt unter anderem auf die Verhinderung negativer Auswirkungen auf die anderen Länder oder den Bund. Eine wenngleich nicht uniforme, so doch möglichst einheitliche Aufnahmepraxis sowohl dem Grunde nach als auch bei der Gestaltung von Aufnahmeanordnungen ist erwünscht. Das Einvernehmserfordernis stellt sicher, dass sich einzelne Länder durch Erlass entsprechender Anordnungen nicht zu weit von einer bundeseinheitlichen Rechtsanwendung entfernen. Hat der Bund in eigener Zuständigkeit Ausländer aus der fraglichen Gruppe aus denselben humanitären Gründen aufgenommen, so ist das BMI befugt, sein Einvernehmen in Bezug auf ein Landesaufnahmeprogramm zu verweigern, das mit den eigenen, auf dieselbe Personengruppe bezogenen Maßnahmen nicht kohärent ist.

    Die Bewältigung humanitärer Notlagen ist, wenn diese in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auftreten, nicht selten Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, die im Einklang mit Art. 23 Abs. 1 GG durch den Bund geführt werden. Aus dieser Vorschrift lässt sich rückschließen, dass die Bundesrepublik Deutschland nach außen allein durch den Bund vertreten wird. Gleiches gilt für die sonstige Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten nach Art. 32 Abs. 1 GG. Das BMI ist befugt, ein koordiniertes Vorgehen aller oder mehrerer durch das Gemeinsame Europäische Asylsystem zusammengeschlossener Mitgliedstaaten durch eine kohärente und eine einheitliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland zu befördern. Das Einvernehmen zu einer humanitären Aufnahmeanordnung darf in solchen Fällen verweigert werden, wenn der Bund plausibel machen kann, dass er sich auf überstaatlicher Ebene entsprechend positioniert hat oder dass er in konkreten Verhandlungen steht, und seine Position oder Verhandlungsführung durch konkurrierende Maßnahmen auf Landesebene beeinträchtigt wird.

    Ausgehend von den v.g. Ausführungen hat das BVerwG festgestellt, dass die Einvernehmensversagung des BMI gegenüber der geplanten Berliner Aufnahmeanordnung nicht zu beanstanden ist. Das BMI hatte seine Entscheidung vor allem damit begründet, dass die Aufnahmeanordnung zu einer grundlegend unterschiedlichen Rechtsstellung von Personen aus demselben griechischen Flüchtlingslager geführt hätte. Der Bund hatte bereits unter gänzlich anderen Maßgaben einer größeren Zahl von unbegleiteten und behandlungsbedürftigen Minderjährigen (letztere neben Kernfamilie) die Einreise nach Deutschland ermöglicht. Diese Aufnahme ist im Einklang mit Verfahrensregeln, die von mehreren Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Europäischen Kommission zu diesem Zweck abgestimmt waren, dergestalt erfolgt, dass der Bund die Zuständigkeit für das Asylverfahren nach Art. 17 Abs. 2 der Dublin-Ill-Verordnung übernommen hat. Dieses Vorgehen des Bundes hatte die Durchführung eines ergebnisoffenen Asylverfahrens zum Ziel. Demgegenüber hätte die vom Land Berlin beabsichtigte Aufnahme nach § 23 Abs. 1 AufenthG zur sofortigen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geführt, ohne dass eine Prüfung des Schutzbedarfs auch in Bezug auf das jeweilige Herkunftsland vorgesehen wäre. Das BVerwG führt in diesem Zusammenhang abschließend aus, dass einer ohne sachliche Gründe so grundlegend unterschiedlichen Rechtsstellung in Deutschland von Personen aus demselben griechischen Flüchtlingslage das BMI wegen nicht hinreichender Wahrung der Bundeseinheitlichkeit durch Versagung seines Einvernehmens zur Aufnahmeanordnung entgegentreten durfte.

    Der Petitionsausschuss hat das v.g. Urteil in seiner 39. Sitzung am 11. Mai 2023 zur Kenntnis genommen. Der Ausschuss weist im Ergebnis darauf hin, dass es sich bei dem Urteil um höchstrichterliche Rechtsprechung handelt. An diese Rechtsprechung sind auch die anderen Bundesländer gebunden.

    Da Thüringen eine inhaltlich ähnliche Aufnahmeanordnung zur Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Personen aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln erlassen wollte, zu der das BMI mit der gleichen rechtlichen Begründung wie bei der Berliner Aufnahmeanordnung das Einvernehmen versagt hat, hätte eine Klage gegen die Versagung des Einvernehmens hinsichtlich der Thüringer Aufnahmeanordnung keine Erfolgsaussichten. Aus diesem Grund wird die Thüringer Landesregierung auf eine solche Klage verzichten.

    Der Petitionsausschuss beschloss im Ergebnis seiner mehrfachen Beratungen, die Petition gemäß § 17 Nr. 6 Thüringer Petitionsgesetz (ThürPetG) den Fraktionen des Landtags zur Kenntnis zu geben. Darüber hinaus erklärte der Ausschuss die Petition mit den erteilten Informationen für erledigt (§ 17 Nr. 2 b) ThürPetG).

  • 11.07.2022
    Zwischenbericht

    Der Petitionsausschuss hatte am 8. Juli 2021 eine öffentliche Anhörung zu der Petition durchgeführt. Der Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz wurde um Mitberatung ersucht. 

    Das Protokoll zu der Anhörung ist auf der Internetseite des Thüringer Landtags einsehbar.

    https://parldok.thueringer-landtag.de/ParlDok/dokument/83351/19_sitzung_petitionsausschuss.pdf#page=27

    Die inhaltliche Beratung der Petition im Petitionsausschuss dauert noch an.

  • 14.05.2021
    Zwischenbericht

    Der Petitionsausschuss hat in seiner 17. Sitzung am 20. Mai 2021 beschlossen, aufgrund der erheblichen Unterstützung der Petition eine öffentliche Anhörung des Petenten durchzuführen.