Konsequenzen der Regierungspläne
Eine Kürzung des Fachs Sozialkunde auf eine Wochenstunde in Klassenstufe 9 geht mit einer faktischen Bedeutungslosigkeit des Kernfaches politischer Bildung und darüber hinaus mit einer nachhaltigen Schwächung der politischen Bildung an Thüringer Gymnasien einher.
Grundlagen der Demokratie werden untergraben, politische Grundbildung wird verhindert
„Der freiheitliche demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er als Staat allein nicht garantieren kann“ (KMK 2018). Eine Kürzung des Pflichtdeputats hat einen Lehrplan zur Folge, der politisch-demokratische Grundbildung auf ein einziges Schuljahr verkürzen müsste. Im Lebensjahr, in dem die meisten Schülerinnen und Schüler mit 16 erstmals auf kommunaler und europäischer Ebene wählen dürfen, fände keine politische Bildung statt. Die angemessene Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten und demokratischen Institutionen, die diese Konflikte regeln, von der kommunalen bis zur internationalen Ebene, wird unmöglich. Die Bildungsziele politischer Bildung sind damit nicht zu erreichen.
Politische Bildung wird als Nebensache markiert
Mit der Reduzierung von obligatorischer Unterrichtszeit markiert das Land Thüringen für Schülerinnen und Schülern, Eltern und die Gesellschaft die geringe Wertigkeit, die sie den Themen politischer und demokratischer Bildung zumisst. Sich mit den Grundlagen unseres demokratischen Gemeinwesens auseinanderzusetzen, wird für alle als eine randständige Aufgabe der Schule sichtbar. Dies kann durch andere Fächer und die Betonung der demokratischen Schulkultur nicht kompensiert werden.
Strukturelle Schwächung politischer Bildung in der Oberstufe
Schülerinnen und Schüler müssen nach den Plänen der Landesregierung nach nur einem Schuljahr in der 9. Klasse wählen, ob sie Sozialkunde weiter belegen wollen. Alle konkurrierenden Fächer haben mehr Zeit, die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Fach vertraut zu machen. Von dieser Wahl hängt aber die Belegungsmöglichkeit von Sozialkundekursen in der Oberstufe ab. Die begrüßenswerte Erhöhung der Stundenzahl von Grund- und Leistungskursen bringt für die politische Bildung nichts, wenn sie in der Oberstufe insgesamt zu einer Randerscheinung wird.
Mehrbelastung von Fachlehrkräften und Lehramtsanwärtern sowie Erschwerung außerschulischer Kooperation
Kleinstfächer brauchen wenige Lehrkräfte, die mehr Schülerinnen und Schüler unterrichten. Auch der professionelle Austausch unter Kolleginnen und Kollegen wird erschwert oder sogar verunmöglicht, weil Fachgruppen oft gar nicht gebildet werden können. Es ist zu befürchten, dass Sozialkunde-Lehrkräfte als Springer zwischen den Schulen eingesetzt werden, was mit einer Schwächung der Prägekraft der politischen Bildung für die Profilbildung der Einzelschulen einhergeht. Zeitintensive Kooperationen mit außerschulischen Trägern werden unwahrscheinlich.
Warum brauchen wir ein starkes Kernfach politischer Bildung für alle? Ein starkes Schulfach Sozialkunde stärkt die Schule und die Demokratie!
Die Bedeutung des Fachs für die Umsetzung des gesetzlichen Bildungsauftrags
Gemäß dem Thüringer Schulgesetz zielt die Schule darauf ab, Schülerinnen und Schüler zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zur Mitgestaltung der demokratischen Grundordnung zu befähigen sowie Offenheit und Verantwortung gegenüber Europa und der Welt zu entwickeln. Sozialkundeunterricht stellt diese Ziele wie kein anderes Fach in den Mittelpunkt.
Soziales Lernen ist wichtig, politisches Lernen erfolgt aber nur im Sozialkundeunterricht
Demokratische Sozialbeziehungen und -erfahrungen im Nahraum unterstützen zwar auf wichtige Weise demokratische Einstellungen, führen aber nachweislich nicht automatisch zu einem besseren Verstehen oder der Entwicklung politischer Kompetenzen. Dafür braucht es eigene Lernräume, die im Fach angesiedelt sind. Dies qualitätsgesichert als Querschnittsaufgabe aller Fächer umzusetzen, ist unrealistisch.
Alle Schülerinnen und Schüler haben den Anspruch, sich in einer komplexer werdenden Welt zu orientieren
Das Fach ermöglicht Schülerinnen und Schülern eigenständige, gut begründete Urteile und Handlungsperspektiven auszubilden. Vor dem Hintergrund der ökologischen Transformation der Gesellschaft, der Zunahme von gesellschaftlicher Vielfalt durch Migration oder dem beschleunigten Wandel der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Weltordnung haben auch Schülerinnen und Schüler am Gymnasium einen Anspruch auf Unterricht, der ihnen dabei hilft, sich in dieser Welt zur orientieren, informierte politische Urteile zu fällen und politisch mitzuwirken.