Hausbeschulung straffrei stellen

Abgeschlossen
3 Mitzeichnungen
  • Anderes
  • Gesamtthüringen
  • eingereicht von Ralf Gerbers
    aus 39319 Redekin
  • veröffentlicht am 06.07.2020
  • 05.10.2020
    Abschlussbericht

    Die Petition wurde am 6. Juli 2020 auf der Petitionsplattform veröffentlicht. In dem sechswöchigen Mitzeichnungszeitraum konnte die Petition nur eine Mitzeichnung verzeichnen. Da damit das in § 16 Abs. 1 Satz 2 Thüringer Petitionsgesetz festgesetzte Quorum von 1.500 Mitzeichnungen nicht erreicht wurde, hat der Petitionsausschuss von der Durchführung einer öffentlichen Anhörung abgesehen.

     

    Im Zuge der abschließenden Beratung hat der Petitionsausschuss sowohl die Ausführungen des Petenten als auch eine vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport vorgelegte Stellungnahme berücksichtigt.

     

    Im Ergebnis der Beratung im Petitionsausschuss bleibt zunächst festzustellen, dass die Zielstellung, die Schulpflicht durch eine Bildungspflicht zu ersetzen, nicht allein durch eine Änderung des Thüringer Schulgesetzes (ThürSchulG) verwirklicht werden kann. Die in §§ 17 ff. ThürSchulG landesgesetzlich verankerte Schulpflicht wurzelt in Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Inwiefern die Schulpflicht in den Fällen, in denen eine staatliche Kontrolle des Lernerfolgs der Homeschooler sichergestellt werden könnte, verfassungsrechtlich aufrechterhalten werden soll, kann der Landesgesetzgeber nicht entscheiden.

     

    In vielen entwickelten Ländern ist Homeschooling eine legale Alternative zum Besuch öffentlicher oder privater Schulen. Am weitesten verbreitet ist es seit den achtziger Jahren in den USA. Auch in vielen europäischen Staaten ist Homeschooling eine legale Möglichkeit. Die Bedingungen in den einzelnen Ländern sind dabei sehr unterschiedlich und reichen von hohen staatlichen Anforderungen, Kontrollen und eingeschränkten Rechten bis hin zu sehr liberalen Lösungen. Teilweise werden die Lernfortschritte und der durchgeführte Unterricht staatlich überprüft. Ebenso unterschiedlich sind die methodischen Vorgehensweisen, die im Homeschooling praktiziert werden. Sie reichen von nah an der Schule orientierten Lernformen bis zum Unschooling. Die Entscheidung für das Homeschooling wird von den Eltern vor dem Hintergrund eines verfügbaren und entwickelten öffentlichen Bildungssystems aus weltanschaulichen bzw. religiösen Motiven, aus einer schulkritischen Haltung heraus oder als Reaktion auf individuelle Bedürfnisse eines Kindes und der Familie getroffen.

     

    Die Schulpflicht, zu der sich alle Länder der Bundesrepublik Deutschland durch das Hamburger Abkommen vom 28. Oktober 1964 bekannt haben, gründet auf einer langen, bildungszugewandten demokratischen Tradition.

     

    Historisch betrat die Weimarer Reichsverfassung von 1919 neues verfassungsrechtliches Terrain: die Schulpflicht wurde normiert als Schulbesuchspflicht für alle. Demokratische Intention dieses Verfassungsgrundsatzes war, dass öffentliche Schulen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Eltern allen Kindern gleichmäßig zur Verfügung stehen sollen. Zudem war der Ausgleich der Wirkungen verschiedenartiger sozialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler herbeizuführen.

     

    Als der parlamentarische Rat 1948/49 den verfassungsrechtlichen Neuanfang beschritt, knüpfte man unmittelbar an die Tradition der Weimarer Reichsverfassung an. Seither bestimmt Art. 7 Abs. 1 GG, dass das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht. Diese Aufsichtsfunktion ist jedoch nicht auf die äußere Organisation des Schulwesens beschränkt, sondern umfasst auch den Bildungs- und Erziehungsauftrag.

     

    Der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule ist dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Er bedeutet nicht nur Vermittlung von Wissensstoff, sondern hat auch zum Ziel, die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden. Demgemäß hat die Schule eine Integrationsaufgabe zu erfüllen, indem sie die Grundanforderungen des sozialen und politischen Zusammenlebens zur Geltung bringt. Diese Aufgabe ist heutzutage umso wichtiger, als es darum geht, junge Menschen unterschiedlicher ethnischer, kultureller und religiöser Herkunft zu befähigen, unter Wahrung ihrer Identität in der hiesigen Gesellschaft heimisch zu werden, in der deutschen Sprache zu kommunizieren und die allgemein akzeptierten „Spielregeln“ im Umgang miteinander einzuüben.

     

    Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, die Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt, sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und –gläubigen nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengesellschaft kann die Fähigkeit aller Schülerinnen und Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern.

     

    Bezüglich der Argumentation, sich an Ländern wie Finnland als „PISA-Musterland“ zu orientieren, weist der Petitionsausschuss auf Folgendes hin:

     

    In Finnland ist zwar keine Schulpflicht festgelegt, aufgrund des finnischen Schulsystems gibt es jedoch nur sehr wenige Eltern, die die staatlichen Angebote der Schulen nicht nutzen, da dann bestimmte soziale Leistungen auch nicht in Anspruch genommen werden können. Die Schulpflicht korreliert nicht mit den PISA-Studien. Nimmt man z.B. die Ergebnisse von PISA 2018 als Vergleich, so müssten die Schülerinnen und Schüler der Vereinigten Staaten von Amerika auch auf den vorderen Plätzen zu finden sein, da dort Homeschooling stark verbreitet ist. Im Vergleich z.B. der Schülerleistungen der verschiedenen Länder und Volkswirtschaften in Mathematik lagen die Vereinigten Staaten von Amerika bei PISA 2012 aber statistisch signifikant unter dem OECD-Durchschnitt, wobei Deutschland, vergleichbar mit den Ländern Finnland, Kanada, Polen, Belgien und Vietnam, signifikant über dem OECD-Durchschnitt lagen. In PISA 2018 lag der Punktwert der Vereinigten Staaten von Amerika 11 Punkte unter dem OECD-Durchschnitt und Deutschland 11 Punkte über dem OECD-Durchschnitt.

     

    Den weiteren Ausführungen, dass auch außerhalb der Schule soziale Kontakte gepflegt werden können, ist zwar zuzustimmen. Jedoch ist gerade die Zusammenkunft im Klassenverband durch eine Heterogenität geprägt, die im alltäglichen Leben kaum stattfindet. Soziale Gruppenbildungen sind hier eher geprägt durch gemeinsame Interessen und Lebenseinstellungen.

     

    Wissenschaftlich repräsentative Studien, die über den besonderen Erfolg des Homeschoolings hinreichend Aufschluss geben können, liegen nicht vor, allerdings auch keine, die schlechte Leistungen oder negative Entwicklungen im Sozialverhalten belegen würden.

     

    Soweit es um die aus dem verfassungsrechtlich verankerten Erziehungsrecht folgende freie Wahl hinsichtlich der Bildung von Kindern geht, weist der Petitionsausschuss darauf hin, dass die Institution der Privatschule (in Thüringen sog. Schulen in freier Trägerschaft) die Idee der Freiheit im Schulwesen verwirklicht, wobei es nicht nur um die einzelne Schule, sondern um die Institution als solche geht. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach deutlich gemacht, dass durch die Gewährleistung der Privatschule gemäß Art. 7 Abs. 4 GG einem staatlichen Schulmonopol eine Absage erteilt wird, zumal der weltanschaulich neutrale, säkularisierte Staat keine in sich geschlossene Bildungsidee, wie sie die Privatschule anzubieten vermag, haben kann. Der Staat muss den „schulischen Pluralismus auch gegen sich selbst“ garantieren. Dazu gehört, dass er private Initiativen im Bildungswesen zulässt, um den Eltern, die andere Wege suchen als die der öffentlichen Schule, die freie Wahl belässt. In Thüringen kann die Schulpflicht neben den staatlichen Schulen daher auch an den 168 Schulen in freier Trägerschaft erfüllt werden.

     

    Auch sieht das Thüringer Schulgesetz die Berücksichtigung besonderer Lebensumstände im Hinblick auf die Durchsetzung der Schulpflicht vor. So kann die Pflicht zum Schulbesuch auf Antrag der Eltern ruhen, wenn zwingende Gründe dies rechtfertigen. Diese Entscheidung trifft das zuständige Schulamt auf der Grundlage von fachärztlichen oder sonderpädagogischen Gutachten für jeweils bis zu einem Schuljahr.

     

    Soweit mit der Petition dargelegt wird, dass insbesondere für Mobbingopfer der verpflichtende Schulbesuch gerade keine Bereicherung darstelle, an der er oder sie wachse, ist hierzu anzumerken, dass die Thüringer Schulen über vielfältige Maßnahmen und Möglichkeiten zur wirksamen Mobbingprävention und –intervention verfügen. Dazu zählen insbesondere die konkreten Maßnahmen und Möglichkeiten, die das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM), der Schulpsychologische Dienst der Staatlichen Schulämter und die Geschäftsstelle des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz, Weltoffenheit für Thüringer Schulen anbieten. Beispielhaft seien die ThILLM-Qualifizierungsveranstaltungen für Lehrkräfte und Führungskräfte zum Umgang mit physischer und psychischer Gewalt, zur gewaltfreien Kommunikation, zum Konfliktmanagement, zum Schutz vor sexueller Gewalt und zu Mediation genannt. Zudem unterbreiten die Beraterinnen und Berater für Schulentwicklung, Demokratiepädagogik und Gewaltprävention gewaltpräventive Angebote für Schulen, die u.a. Themen zur Auseinandersetzung mit Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, Möglichkeiten der Partizipation der Schülerschaft „Unsere Schule – ein demokratischer Ort“ und prozessorientierte Begleitung von Streitschlichtergruppen umfassen. Die Angebote im Rahmen der Professionalisierung in der Berufseingangsphase umfassen u.a. die Themen: Kinderschutz, Konfliktmanagement, inklusionsorientierter Unterricht, Förderung von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache. Darüber hinaus wurde mit der am 1. August 2020 in Kraft getretenen Änderung des Thüringer Schulgesetzes eine Regelung aufgenommen, die es ermöglicht, auch Opfer von Mobbing, soweit es deren Schutz dient, einer anderen Schule zuzuweisen. Die Kosten für die Schülerbeförderung werden in diesen Fällen erstattet.

     

    Mithin gibt es für die Schulpflicht in ihrer heutigen Ausgestaltung vielfältige Gründe, wobei den Eltern gerade im Hinblick auf das Privatschulwesen Möglichkeiten eingeräumt werden, grundlegende Entscheidungen zur Bildung ihres Kindes zu treffen. Die Schulen spielen im Kontext des Kinderschutzes auch in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der Jugendhilfe eine entscheidende Rolle. Daher ist die Schulpflicht nach wie vor bundesweit wesentlicher Bestandteil des Schulwesens; Pläne zur Abschaffung der Schulpflicht werden derzeit von keinem Land verfolgt.

     

  • 18.08.2020
    Zwischenbericht

    Die Petition ist am 6. Juli 2020 auf der Petitionsplattform des Thüringer Landtags veröffentlicht worden. In der sechswöchigen Mitzeichnungsphase bis zum 17. August 2020 wurde die Petition von einem Mitzeichner unterstützt. Da das in § 16 Abs. 1 Satz 2 Thüringer Petitionsgesetz vorgegebene Quorum von mindestens 1.500 Mitzeichnungen nicht erreicht worden ist, wird keine öffentliche Anhörung zu der Petition durchgeführt.

     

    Der Petitionsausschuss wird die Petition in einer seiner nächsten Sitzungen inhaltlich beraten.