Im Rahmen des Petitionsverfahrens hat der Petitionsausschuss die Thüringer Landesregierung aufgefordert, zu der Petition Stellung zu nehmen. In die abschließende Beratung der Petition in der 33. Sitzung am 13. Oktober 2022 hat der Petitionsausschuss die entsprechenden Ausführungen des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport einbezogen.
Der Petitionsausschuss weist zunächst darauf hin, dass die Zielstellung, die Schulpflicht abzuschaffen und die Rechtsgrundlagen für einen freiwilligen Schulbesuch zu schaffen, nicht allein durch eine Änderung des Thüringer Schulgesetzes (ThürSchulG) verwirklicht werden kann. Die in §§ 17 ff. ThürSchulG landesgesetzlich verankerte Schulpflicht wurzelt in Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Die Schulpflicht, zu der sich alle Länder der Bundesrepublik Deutschland durch das Hamburger Abkommen vom 28. Oktober 1964 bekannt haben, gründet auf einer langen, bildungszugewandten demokratischen Tradition. Historisch betrat die Weimarer Reichsverfassung von 1919 neues verfassungsrechtliches Terrain: Die Schulpflicht wurde normiert als Schulbesuchspflicht für alle. Demokratische Intention dieses Verfassungsgrundsatzes war, dass öffentliche Schulen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Eltern allen Kindern gleichmäßig zur Verfügung stehen sollten.
Zudem war der Ausgleich der Wirkungen verschiedenartiger sozialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler herbeizuführen. Als der parlamentarische Rat 1948/49 den verfassungsrechtlichen Neuanfang beschritt, knüpfte man unmittelbar an die Tradition der Weimarer Reichsverfassung an.
Seither bestimmt Art. 7 Abs. 1 GG, dass das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht. Diese Aufsichtsfunktion ist jedoch nicht auf die äußere Organisation des Schulwesens beschränkt, sondern umfasst auch den Bildungs- und Erziehungsauftrag. Der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule ist dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Er bedeutet nicht nur Vermittlung von Wissensstoff, sondern hat auch zum Ziel, die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden. Demgemäß hat die Schule eine Integrationsaufgabe zu erfüllen, indem sie die Grundanforderungen des sozialen und politischen Zusammenlebens zur Geltung bringt.
Inwiefern diesem verfassungsrechtlich verankertem Bildungs- und Erziehungsauftrag durch alternative Bildungsangebote, z. B. Homeschooling, unter Aufhebung der Schulpflicht und mithin ohne staatliche Kontrolle Rechnung getragen werden kann, vermag der Landesgesetzgeber folglich nicht zu entscheiden.
Mit der Petition wird außerdem darauf hingewiesen, dass insbesondere für Schülerinnen und Schüler wegen Stresses oder Konflikten der verpflichtende Schulbesuch gerade keine Bereicherung darstelle, an der er oder sie wachse.
Das in diesem Zusammenhang angeführte Argument, dass Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer eigener Verantwortung bei der Entscheidung über den Schulbesuch in ihrer Selbstständigkeit gestärkt werden, überzeugt den Petitionsausschuss letztlich nicht. Gerade Schülerinnen und Schüler, die wegen Stresses oder Konflikten den Schulbesuch verweigern, bedürfen eines positiven Hinwirkens auf die Motivation zum eigenverantwortlichen Lernen durch die Schule und alle anderen Beteiligten. Andernfalls ist die Erhöhung der Quote der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss zu befürchten. Sofern Schülerinnen und Schüler Probleme im familiären Umfeld oder in der Schule haben, stehen diesen an Thüringer Schulen vielfältige Maßnahmen und Möglichkeiten zur wirksamen Prävention und Intervention zur Verfügung.
Diese Maßnahmen dienen nicht nur der Klärung der Probleme, sondern auch der Vermeidung von Schuldistanz. Die nachteiligen Konsequenzen, wie zum Beispiel Abgang ohne Abschluss und Bildungslaufbahnunterbrechungen sollen weitestgehend verhindert werden.
Die Schulpflicht ist nach wie vor bundesweit wesentlicher Bestandteil des Schulwesens; Pläne zur Abschaffung der Schulpflicht werden derzeit von keinem Land verfolgt.
Mit den vorgenannten Informationen hat der Petitionsausschuss die Petition abgeschlossen.