Im Rahmen des Petitionsverfahrens hat der Petitionsausschuss die Thüringer Landesregierung aufgefordert, zu der Petition Stellung zu nehmen. In die abschließende Beratung der Petition in der 33. Sitzung am 13. Oktober 2022 hat der Petitionsausschuss die entsprechenden Ausführungen des Ministeriums für Inneres und Kommunales einbezogen.
Im Ergebnis der parlamentarischen Prüfung ist Folgendes auszuführen:
Voranzustellen ist, dass eine auf den Justizvollzugsdienst beschränkte Bewertung zur Erhöhung oder Flexibilisierung des Eintrittsalters in den Ruhestand aus dienstrechtlicher Sicht ausscheidet. Potentielle Änderungen an den Altersgrenzen für Vollzugsbeamte des Freistaats sollten für die vom Antragssteller aufgeworfene Problematik ganzheitlich für alle Laufbahngruppen des Polizei- und Justizvollzugsdienstes bewertet werden, da aufgrund der Vollzugstätigkeiten die gleiche Altersgrenze gemäß § 106 ThürBG gilt.
Der Eintritt in den Ruhestand von Vollzugsbeamten des mittleren und gehobenen Dienstes erfolgt gemäß § 106 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 108 ThürBG für ab dem 01.01.1964 geborene Beamte mit Vollendung des 62. Lebensjahres, bzw. gemäß § 106 Abs. 2 i. V. m. § 108 ThürBG gestaffelt zwischen Vollendung des 60. bis 62. Lebensjahres, wenn der Beamte zwischen 1947 und 1963 geboren wurde. Eine Erhöhung um zwei Jahre auf 64, bzw. 62/64 für gestaffelte Jahrgänge erfolgt für die Beamten des höheren Dienstes (§ 106 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 i. V. m. § 108 ThürBG).
Diese Altersgrenzen stellen eine Privilegierung dar, da Beamte, die nach dem 01. 01.1964 geboren wurden, kraft Gesetztes grundsätzlich mit Vollendung des 67. Lebensjahres in den Ruhestand eintreten (§ 25 Abs. 2 ThürBG). Bei vor 1964 geborenen Jahrgängen (1947-1963) findet eine Staffelung der Altersgrenze vom 65. zum 67. Lebensjahr statt (§ 25 Abs. 3 ThürBG). Die Altersgrenzen wie auch die Staffelungssystematik entsprechen dabei den allgemeinen gesetzlichen Regelaltersgrenzen gemäß § 35 Satz 2 (ab 1964 geborene: 67) und § 235 Abs. 2 Satz 2 (Staffelung 65 bis 67) Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Bis auf Berlin (grundsätzliches Eintrittsalter in den Ruhestand: 65 Jahre, § 38 Abs. 1 S. 1 Landesbeamtengesetz Berlin (LBG-BE)) tritt sowohl beim Bund als auch bei den Ländern für Beamte der Ruhestand grundsätzlich mit Vollendung des 67. Lebensjahr ein vorbehaltlich etwaiger Staffelungsregelungen für ältere Jahrgänge.
Diese Distinktion gegenüber der allgemeinen Altersgrenze nach § 25 Abs. 2 f. ThürBG einerseits, wie auch die Unterscheidung hinsichtlich der Zugehörigkeit der Laufbahnen zwischen dem mittleren bzw. gehobenen Dienst und dem höheren Dienst andererseits ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich, wenn die jeweilige Privilegierung vom Grundsatz des § 25 Abs. 2 ThürBG sachlich begründet ist und deswegen ein Abweichen als sachgerecht bewertet werden kann, vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss vom 23.05.2008 - 2 BvR 1081/07 -, BVerfGK 13, 576 – 582.
Insofern steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, wie stark spezifische berufsbezogene Belastungen (besonderer körperlicher Einsatz, psychische Belastbarkeit, Handlungsschnelligkeit etc.) bei der Etablierung gesonderter Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand Berücksichtigung finden können. Eine Kollision mit dem Lebenszeitprinzip als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33. 5 Grundgesetz (GG) liegt nicht vor, wenn die vom Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums getroffene Altersgrenze sachlich angemessen ist. Aufgrund des Lebenszeitprinzips ist der Beamte grundsätzlich zur lebenslangen Dienstleistung verpflichtet. Gleichwohl folgt daraus nicht, dass der Beamte bis zum Ableben zur Dienstleistung verpflichtet ist. Die Verpflichtung zur Dienstleistung gilt nur für die Zeit, in der die Dienstfähigkeit des Beamten gegeben ist. Mithin bildet die dauerhafte Dienstunfähigkeit des Beamten eine Schranke zum Lebenszeitprinzip. Der Zeitpunkt des Eintritts der Dienstunfähigkeit eines jeden Beamten ist nicht konkret vorhersehbar, nichts desto trotz kann der Dienstherr durch die Etablierung pauschalierter Altersgrenzen, auf Basis sachlicher Entscheidungsgründe, einen Zeitpunkt festlegen, nach der (unwiderleglich) vermutet werden kann, dass bei Erreichen dieser Grenze Dienstunfähigkeit eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 10.12.1985 - 2 BvL 18/83, Rn. 44 f.).
Zu den sachlichen Gründen können die o. g. berufsbezogenen Belastungen, aber auch Fragen der allgemeinen Lebenserwartung zählen. Ein zwischen 1988 und 1990 in Thüringen geborener Mann hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 69,94 Jahren zu erwarten, eine Frau 76,03 Jahre. Zwar nimmt die Lebenserwartung später geborener stetig zu (zwischen 2018 und 2020 geborene Männer durchschnittlich 77,66 Jahre, für Frauen 83,27 Jahre), vgl. Sterbetafel für Thüringen vom Thüringer Landesamt für Statistik (TLS) - Pressemitteilung 165/2021 vom 09.07.2021), aber selbst unter Berücksichtigung der Lebenserwartung aktueller Geburtenjahrgänge würde eine Altersgrenze ab dem vollendeten 80. Lebensjahres noch über der durchschnittlichen Lebenserwartung von zwischen 2018 bis 2020 geborenen Männern liegen – ein Umstand, der circa dem Kalenderjahr 2100 entspricht. Die von Ihnen vorgeschlagenen Erhöhungen der Altersgrenze für Beamte im Vollzudienst auf wenigstens Vollendung des 70. Lebensjahres bis hin zur Vollendung des 80. Lebensjahres werden diesem sachlichen Erfordernis nicht gerecht.
Der alternative Vorschlag zur Flexibilisierung/Individualisierung der Altersgrenze ist sehr vage und beinhaltet keine inhaltliche Konkretisierung. Eine vollständige Flexibilisierung der Altersgrenzen zum Eintritt in den Ruhestand wird sowohl aus Gründen der langfristigen Planbarkeit des Einsatzes der Beamten für den Dienstherrn als auch zur Sicherstellung eines effektiven Lebenszeit- und Alimentationsprinzips gegenüber dem Beamten als Ansatz ausscheiden müssen.
Eine rahmenorientierte Flexibilisierung der Altersgrenze hat der Thüringer Gesetzgeber im Thüringer Beamtengesetz bereits de facto eingerichtet. So können Vollzugsbeamte abweichend ihrer besonderen o. g. Altersgrenze auf eigenen Antrag bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand treten (§ 106 Abs. 5 i. V. m. § 108 ThürBG). Ferner besteht auf freiwilliger Basis für alle Beamten die Option, den Eintritt in den Ruhestand um bis zu drei Jahre über die jeweils geltende Regelaltersgrenze hinauszuschieben (§ 25 Abs. 7 ThürBG). Für Vollzugsbeamte des mittleren und gehobenen Dienstes bedeutet dies, dass der Eintritt in den Ruhestand ab Vollendung des 60. Lebensjahres bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres und für Vollzugsbeamte des höheren Dienstes bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres individuell gestaltet werden kann.
Weiterhin stellen die o. g. bisherigen Altersgrenzen bereits sicher, dass der volle Pensionsanspruch gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 Thüringer Beamtenversorgungsgesetz (ThürBeamtVG) erreicht werden kann. Aufgrund der Deckelung des Pensionshöchstsatzes - erreicht nach einer Dienstzeit von 40 Jahren bei Vollzeitbeschäftigung - würde ein Hinausschieben der Altersgrenzen für eine Vielzahl von Beamten keine weitere Erhöhung der Pension zur Folge haben. Vollzugsbeamte, die dann auf eigenen Antrag im Alter der bisherigen Altersgrenze in den Ruhestand treten wollen, hätten – sofern keine Ausnahmetatbestände vorliegen – dann regelmäßig mit Versorgungsabschlägen zu rechnen, vgl. § 21 Abs. 2 und 3 ThürBeamtVG.
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass eine Erhöhung der Altersgrenze für Vollzugsbeamte die Anpassung der allgemeinen Altersgrenze nach § 25 Abs. 2 ThürBG in einem vergleichbaren Umfang von sechs bis acht Jahren zur Folge hätte. Dies würde zu einer völligen Abkopplung zur Regelaltersgrenze des SGB VI und den bisher – bis auf Ausnahme Berlins – gleichgelagerten Regelungen von Bund und Länder führen. Durch eine solche Exponierung wäre sowohl eine dämpfende Wirkung auf die Bewerber- und Einstellungszahlen beim Freistaat Thüringen und den Kommunen des Landes als auch mit einer verstärkten Abwanderungsbewegung aus dem Geltungsbereich des Thüringer Beamtengesetzes zu rechnen. In Verbindung mit der fachrichtungsübergreifenden bereits teils jetzt schwierigen Lage, Personal zu akquirieren und dauerhaft zu binden, erscheint eine Anhebung des Eintrittsalters in den Ruhestand auch im Kontext dieser gesamtgesellschaftlichen Realität als kontraintuitiv.
Gründe für eine Änderung der derzeit geltenden rechtlichen Grundlagen werden vom Petitionsausschuss insoweit nicht gesehen.