Der Präsident des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, stellt im Interview mit der FAZ am 01.02.2021 fest: „Die Schul- und Kindergartenschließungen sind eine fatale Fehlentscheidung, die ganz klar zu Lasten der Kinder und Jugendlichen geht, und zwar insbesondere derjenigen, die ohnehin schon Entwicklungshandicaps haben. (...) Wenn der Sozialisationsprozess in der Peer-Group mit Kindern und Lehrern fehlt und die Kinder nicht mehr zum Sport oder in die Musikschule können, (...) dann hat das erhebliche negative Auswirkungen.“
Neue Osnabrücker Zeitung vom 06.01.2021:
"Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist der Präsenzunterricht"
"Für Kinder bis zehn Jahre, die erwiesenermaßen bei der Pandemie keine entscheidende Rolle spielen", müssen "Kitas und Schulen unter Wahrung angemessener Hygieneregeln zumindest dort so schnell wie möglich wieder aufmachen, wo die Inzidenzwerte nicht im tiefroten Bereich sind."
Kinder, Jugendliche und Familien brauchen in der aktuellen Situation Rückenwind für einen gelingenden Alltag unter Corona-Bedingungen.
Familien bewältigen die Corona-Pandemie im Alltag und erweisen sich als DER Stabilitätsfaktor in der Pandemie, sind aber im Vergleich zu wirtschaftlichen Lobbygruppen völlig unzureichend politisch vertreten. Sie sind seit Wochen weitgehend auf sich selbst gestellt. Seit langem beklagen wir ein Auseinanderdriften der Gesellschaft. Die aktuelle Lage verschärft diese Tendenz enorm. Wenn mittlerweile sogar bislang stabile Mittelschichtfamilien an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit geraten, dann lässt sich erahnen, wie fragil und bedroht die Lage bei jenen ist, die weniger stabil sind. Die Herausforderungen haben sich verschärft und die Folgen der Überlastung werden sichtbar. Kinder und Familien sind schlichtweg erschöpft. Unsere Kinder brauchen wieder den Zugang zu Kindergarten und Schule. Dies unterstützt die Familien bei der Bewältigung des Berufsalltages auf der einen sowie den abgewälzten Bildungs- und Betreuungsauftrag auf der anderen Seite.
Entlastung wird geschaffen, wenn Kindergärten und Schulen zeitnah JEDEM Kind ohne Präsenzpflicht offenstehen. Maßgebend muss die Öffnung und damit die Teilhabe an Bildung und Entwicklung sein.
Politische Entscheidungen eröffnen die Teilhabe der Kinder und verbinden Familien- und Gesundheitspolitik.
Für ALLE Kinder und Jugendlichen muss sichergestellt werden, dass Lehr- und Lernmaterialien weiterhin durch die Pädagogen bereitgestellt werden. Die Einbindung der Kinder in eine Kindergartengruppe oder einen Klassenverband muss oberstes Ziel sein. Eltern, die ihr/e Kind(er) weiterhin zu Hause betreuen wollen, sollen von Gebühren und Beiträgen freigestellt werden. Sie entlasten die institutionelle Betreuung.
Die bereits erarbeiteten Hygienekonzepte müssen stetig aktualisiert werden. Dabei brauchen die Einrichtungen bestmögliche fachliche Begleitung und Beratung. Durch eine verbindliche Pool-Testung in den Einrichtungen wird sichergestellt, dass sich das Virus nicht verbreitet oder zumindest schnell eingehegt werden kann. Wird eine Kindergartengruppe oder Schulklasse positiv getestet, sollte umgehend eine Einzeltestung der Kinder und Jugendlichen
sowie der Pädagogen und Personen in der Einrichtung erfolgen. Was auf der einen Seite die Schulpflicht ist, gestaltet sich auf der anderen Seite als der selbstverständliche Anspruch auf Bildung.
Der Freistaat unterstützt die Öffnung, wenn er im Rahmen seiner Fürsorgepflicht allen pädagogischen Fachkräften kostenfreie FFP2 Masken zur Verfügung stellt, regelmäßige, kostenfreie Testungen anbietet und die Impfung für Pädagogen priorisiert.
Die Ankündigung des Thüringer Bildungsministeriums, die Stundenanzahl für Horterzieher aufzustocken, ist eine richtige Maßnahme. Damit die Aufstockung tatsächlich zu einem höheren Stundenumfang führt, sollte beachtet werden, Personal nicht aus Risikogruppen zu rekrutieren und eventuelle Vorerkrankungen zu erfragen. Zur Unterstützung der Pädagogen sollte zudem geprüft werden, inwieweit auch schulnahe Träger und Berufsgruppen zeitweise ergänzend mit hinzugezogen und eingebunden werden können, um die Beteiligten zu entlasten.
Mittelfristig wünschen sich Familien, dass die Pädagogen mit Schulungen beim Aufbau handhabbarer und verlässlicher digitaler Strukturen unterstützt werden. Es gibt enormen Handlungsdruck auf allen Seiten — nur eine gemeinsame Kraftanstrengung ebnet den Weg in leichteres und flexibleres häusliches Lernen. Die technische Ausstattung in allen Thüringer Schulen und den Familien muss gemeinsam angegangen und sichergestellt werden. Lerninhalte und -programme sollten erarbeitet und unkompliziert zugänglich sein.